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Glas schmelzen, wenn der Wind weht, Produktion bremsen bei Flaute

4.5.2015 |

Welche Lösungen brauchen wir für die Energiewende und wie können wir die Klimaschutzziele erreichen? Ein neues Forschungsprojekt mit Hochschul- und Industriepartnern an der Universität Bayreuth will Antworten darauf finden. Zunächst sollen die Nutzungsmöglichkeiten regenerativer Energien in der stromintensiven Glasindustrie optimiert werden. Ermöglicht wird es durch finanzielle Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen  der ‚Kopernikus‘-Projekte.

073 disconmelter

DisConMelter, so der Name des Forschungsverbunds, soll unter anderem dazu beitragen, dass die extrem energieaufwändige Glasproduktion an Versorgungsschwankungen bei regenerativen Energien angepasst wird. „In der ersten Projektphase von DisConMelter entwickeln wir eine völlig neue elektrisch beheizte Glasschmelzwanne, die bei der Produktion von Gebrauchsglas eingesetzt wird. Sie soll dann als Demonstrationsanlage bei unserem Industriepartner Heinz Glas in Klein Tettau gebaut und betrieben werden“, erläutert Dr. Thorsten Gerdes vom Lehrstuhl für Werkstoffverarbeitung, der das Teilprojekt an der Universität Bayreuth leitet. Die Heinz-Gruppe mit ihrer fast 400-jährigen Glasmacher-Tradition gehört heute zu den Weltmarktführern in der Herstellung und Veredelung von Glas-Flakons für die Parfüm- und Kosmetikindustrie

 „Durch die Bündelung der Kompetenzen im Bereich Glastechnologie an der Universität Bayreuth mit unseren langjährigen Forschungspartnern beim Institut für Innovative Verfahrenstechnik (InVerTec) und am Technologie-Anwenderzentrum (TAZ) Spiegelau können wir unserem Industriepartner das notwendige Know-How-Spektrum bieten, um eine Schmelztechnologie zu entwickeln, die einen Paradigmenwechsel in der Behälterglasindustrie darstellt“, sagt Gerdes. Ziel ist es, durch ein sogenanntes Demand Side Management neue Möglichkeiten zur Laststeuerung elektrisch beheizter Glasschmelzwannen zu entwickeln, um flexibler auf fluktuierende Energieangebote reagieren zu können. Oder einfacher gesagt: Glas schmelzen, wenn der Wind weht und die Sonne scheint, Produktion runter bei Flaute oder Dunkelheit.

Glaswannen, die bei mehr als 1.500°C betrieben werden, könnten große Mengen erneuerbarer Energie in Form hochwertiger Prozesswärme speichern und ermöglichten so die Integration regenerativer Energien. Für die Glasindustrie bedeutet dies auch den Schritt weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien.

„Die Veränderung der Schmelztechnologie soll aber noch tiefgreifendere Veränderungen im Unternehmen ermöglichen“, so Alfred Krischke, Technischer Direktor bei Heinz Glas. Das ist der Hintergrund: Um die Schmelzwannen nicht zu schädigen und die Lebensdauer der Anlagen nicht zu verkürzen, produzieren große Glaswannen bisher oft über Jahre kontinuierlich Glas. Die Anpassung der Betriebsweise auf die Verfügbarkeit von Energie und die Bedürfnisse der Mitarbeiter stellt damit nicht nur eine erhebliche technische, sondern auch betriebswirtschafliche Herausforderung dar. Die Bedürfnisse der Mitarbeiter werden immer wichtiger in Produktionsbetrieben: „In den kommenden Jahren wird es zu einem erheblichen demografischen Wandel kommen, von dem insbesondere Regionen wie Oberfranken betroffen sind. Bereits jetzt fällt es schwer, Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebote für die Glasherstellung qualifiziert zu besetzen. Die branchenübliche Schichtarbeit 24/7 sowie die Sonn- und Feiertagsarbeit machen die Tätigkeit in der Glasproduktion für Mitarbeiter zusätzlich unattraktiv“, erläutert Krischke. Ein Ziel der Entwicklung ist daher die weitergehende Anpassung der Betriebsweise an die Bedürfnisse der Mitarbeiter, z.B. durch Vermeidung von Nachtschichten, Feiertags- und Wochenendarbeit.

Einen weiteren Auftrag haben die Forscher: Sie erarbeiten Rahmenbedingungen für die zukünftige Gestaltung des Strommarktes, um die neue Glasschmelz- und Speichertechnologie nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich umsetzen zu können. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern aus dem SynErgie-Verbund. Dieser wurde 2016 unter Beteiligung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Bayreuth gegründet. Mit DisConMelter ist nun auch die Fakultät für Ingenieurwissenschaften bei ‚Kopernikus‘ mit im Boot. Neben dem Lehrstuhl für Werkstoffverarbeitung sind die oberfränkische Firma Heinz Glas, das Bayreuther Forschungsinstitut InVerTec und die Technische Hochschule Deggendorf mit dem Technologie Anwenderzentrum Spiegelau am DisConMelter-Verbund beteiligt.

Hintergrund: Kopernikus

Um praktische Fragen der Energiewende und um die Fragen der Verknüpfung von Strom, Wärme und Mobilität mit konkreten technischen Lösungen zu beantworten, stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der ersten, dreijährigen Förderphase für die ‚Kopernikus‘-Projekte bis zu 120 Millionen Euro bereit. Für die weiteren Förderphasen sollen bis 2025 weitere 280 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Die ‚Kopernikus‘-Projekte sind Teil des Energieforschungsprogramms ‚Forschung für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung‘ der Bundesregierung. Dafür arbeiten inzwischen mehr als 260 Partner kooperativ und technologieoffen an Lösungen.

Bild: Ein Arbeitstreffen des DisConMelter-Verbunds an der Universität Bayreuth: (v.li.) Oliver Fröba, Heinz-Glas; Thomas Schmidt, Heinz-Glas; Benedikt Scharfe, TAZ-Spiegelau; Alfred Krischke, Heinz-Glas; Dr. Andreas Rosin, UBT; Dr. Thorsten Gerdes, UBT; Achim Schmidt, InVerTec; Kanat Kyrgyzbaev, UBT. Foto: Universität Bayreuth

Quelle: Universität Bayreuth, Pressemitteilung Nr. 073/2017 vom 13. Juli 2017